Im Mittelpunkt der Diskussion stand neben der fehlenden Größe und damit zu erwartenden Wirkung der angekündigten Reform erneut die nicht vorhandene Berücksichtigung der Expertise der Profession Pflege in den gesetzgebenden Gremien. Folgende Positionen und Forderungen an die Politik sind Ergebnis des Austausches.
Konsequenzen und Gefahren der angekündigten Maßnahmen
Die ohnehin mehr als angespannte Situation der beruflich Pflegenden wird sich durch die geplanten Maßnahmen nicht im erforderlichen Maß verbessern und damit zu einer weiteren Verschärfung des Personalnotstands sowie der wirtschaftlichen Situation der pflegebedürften Menschen führen.
- Im Vordergrund steht die Sicherung der wirtschaftlichen Basis der Sozialen Pflegeversicherung (SPV). Dabei wird lediglich auf die bekannte Mechanik der Beitragssatzerhöhung unter Berücksichtigung der Vorgaben des BVG-Urteils vom 07.04.2022 zur Berücksichtigung des Erziehungsaufwandes von Eltern zurückgegriffen. Die seit langem geforderte grundlegende Finanzierungsreform bleibt jedoch erneut aus.
- Die ab 01.01.2024 geplante Anhebung des Leistungszuschlages für Menschen, die in stationären Pflegeeinrichtungen versorgt werden, sowie die geplante Dynamisierung von Geld- und Sachleistungen werden durch das Tariftreuegesetz, die Anhebung des Mindestlohns und die seit 2022 enorm gestiegenen Sachkosten aufgezehrt. Da davon auszugehen ist, dass sich die Preissteigerung 2023 fortsetzt, wird es auch in der Folge zu keiner effektiven Entlastung der Betroffenen kommen. Bestenfalls kann der Anstieg moderat und vorübergehend abgemildert werden.
- Als weitere Maßnahmen zur Schließung der Finanzlücke in der SPV ist vorgesehen, die jährliche Zuführung an den Pflegevorsorgefonds auf 2024 zu verschieben. Dadurch entstehen obzwar im Jahr 2023 Minderausgaben von 1,7 Milliarden Euro, gleichzeitig jedoch Mehrausgaben in gleicher Höhe im Jahr 2024.
- Die Rückzahlung des in 2022 vom Bund gewährten Darlehens in Höhe von einer Milliarde Euro soll mit dem PUEG von Ende 2023 auf 2028 verschoben werden. Was zwar kurz- bis mittelfristig für Entspannung sorgt, am Ende allerdings einer Verlagerung der Problematik in eine ungewisse Zukunft entspricht.
- Zur Kompensation zukünftiger Liquiditätsbedarfe soll die Bundesregierung ermächtigt werden, den allgemeinen Beitragssatz im Wege einer Rechtsverordnung anzuheben. Diese Verordnungsermächtigung sowie die Nichteinhaltung von Vereinbarungen des Koalitionsvertrags zur Erhöhung des Einsatzes von Steuermitteln lassen befürchten, dass demokratische Entscheidungsprozesse umgangen werden und der Bund sich seiner Finanzverantwortung entziehen will.
- Über die SPV sollen jährlich 50 Millionen Euro für ein Förderbudget der Länder und Kommunen bereitgestellt werden, um innovative Modellvorhaben für neue Pflegestrukturen vor Ort zu realisieren. Voraussetzung ist, dass die Länder bzw. Kommunen sich hälftig an den Kosten beteiligen. Vom Grundsatz gut gedacht, doch derzeit erscheint die Finanzierung unmöglich, ohne in der aktuellen Versorgung Abstriche zu machen.
- Das Thema Übernahme der Behandlungspflege in den stationären Einrichtungen ist ein weiteres Mal nicht berücksichtigt worden. Seit Einführung der Pflegeversicherung erbringen die Pflegeheime Leistungen der Behandlungspflege, ohne dass diese vergütet werden.
- Bei der Digitalisierung in der Langzeitpflege hat sich in den vergangenen Jahren einiges bewegt und viele Einrichtungen sind auf einem guten Weg. Dass die Förderprogramme fortgeführt werden sollen, ist zu begrüßen. So sollen ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen verpflichtet werden, sich der Telematikinfrastruktur anzuschließen. Zudem soll ein Onlineportal aufgesetzt werden, das tages- oder wochenaktuelle Informationen über freie Kapazitäten der ambulanten und stationären Pflege angezeigt.
- Auch die Schaffung einer Referent*Innenstelle im Qualitätsausschuss Pflege nach § 118 SGB XI ist zu begrüßen.
- Ebenso die öffentlichen Sitzungen des QA (§113b, 3a) sind im Sinne von mehr Transparenz im System ein Schritt in die richtige Richtung.
- Das Programm zur Förderung von guten Arbeitsbedingungen in der Pflege soll über 2024 hinaus bis 2030 verlängert werden. Für dieses Programm stellt die SPV pro Jahr 100 Millionen Euro zur Verfügung.
Forderungen des Pflegemanagement
Der Bundesverband Pflegemanagement sowie alle Beteiligten der Diskussion fordern daher:
- Eine grundlegende Reform des Finanzierungsmodells, das nicht nur auf den Schultern der Beitragszahlenden lastet.
- Eine Ergänzung des Entwurfs um die Übernahme der Behandlungspflege in den stationären Einrichtungen.
- Der Bund muss die Finanzierungsverantwortung übernehmen und darf durch Verordnungsermächtigungen nicht den Eindruck von Willkür vermitteln.
- Es ist geboten, einen stabilen und dynamisierten Steuerzuschuss in die SPV zu gewähren. Der Zuschuss könnte regelgebunden z. B. als Anteil der Leistungsausgaben ausgestaltet werden, der im Gleichtakt mit den SPV-Ausgaben steigt.
- Zudem sollte die Private Pflegeversicherung (PPV) am Solidarausgleich der SPV beteiligt werden. Der Finanzausgleich könnte die SPV um bis zu zwei Milliarden Euro jährlich entlasten.
- Die Mechanik des § 43c könnte für die ambulanten Sachleistungen herangezogen werden, so dass Pflegebedürftige sich mehr Leistungen einkaufen können und der ambulante Sektor gestärkt wird.
- Dringend geboten ist eine Vereinfachung des Systems statt einer weiteren Zunahme von Komplexität und Intransparenz.
- Wünschenswert ist ein Modellprojekt zur Heilkundeübertragung ins SGB XI.
- Ergänzung um das Thema einer einheitlichen Pflegehelferausbildung (QN 3) sowie deren gesetzlich gesicherten Finanzierung.